Die Backenzähne des Kaninchens stehen im normalen, also physiologischem Zustand, nicht direkt, sondern etwas versetzt aufeinander. Im Unterkiefer befinden sich 5 und im Oberkiefer 6 Backenzähne, sodass sich immer 2 Zähne des Oberkiefers mit 1 im Unterkiefer berühren. Die Zähne des Kaninchens haben keine Wurzeln und wachsen ständig- und das ein Leben lang (BZ ca 0,6 mm/Woche).
Auf Grund dieser Zahnstellung steht eine breitere Fläche für das Zermahlen, Zerquetschen und Zerreißen des Futters zur Verfügung. Beim Ausführen der Kaubewegung wird das Kiefer zu allen Seiten bewegt, es ähnelt einer liegenden 8- also erfolgen die Bewegungen nach vorne, nach hinten und seitlich. Im idealen Fall werden pro Minute bis zu 380 vollständig durchgeführte Kaubewegungen vollführt.
Geschieht dies, herrscht ein ständiges Gleichgewicht zwischen Wachstum und Abrieb der Zähne. Können die Kaubewegungen nicht vollständig oder lange genug durchgeführt werden, überwiegt das Wachstum und Fehlstellungen entwickeln sich.
Wenn die Backenzähne zu lange werden, treten Unter- und Oberkiefer in ständigen Kontakt, was zu einer Kieferöffnung führt. Durch Anspannen der Kaumuskulatur versucht das Kaninchen dem entgegenzuwirken. Dies führt aber dazu, dass die Zähne durch den ständigen Druck gegeneinander, in Richtung Kiefer gedrückt werden und so auch das Zahnwurzelgewebe zum Wachstum angeregt wird – nur leider in die falsche Richtung. Denn so wachsen die Zähen im Oberkiefer in Richtung des Auges und die Zähne im Unterkiefer drücken in den Kieferknochen ein.
Außerdem bilden sich am Rand der Zähn, Zahnspitzen aus. Hier herrscht kein Gegendruck durch eine Zahnfläche und so ist ein unaufhaltsames Wachstum möglich. Im Oberkiefer bilden sich die Spitzen in Richtung der Backe, im Unterkiefer wachsen die Spitzen in Richtung Zunge. Dies geschieht so lange, bis es zum Durchbruch der Backe oder zum Zusammentreffen der Spitzen über der Zunge kommt und sich eine sogenannte Brücke gebildet hat. In dem Fall wird die Zunge unter der Zahnbrücke „gefangen“. Ein Fressen und Schlucken ist somit nicht mehr möglich- die Kaninchen verhungern sprichwörtlich vor der vollen Futterschüssel.
Wieso findet kein Abrieb der Zähen statt?
Es gibt zwei fütterungsbedingte Probleme, durch die es zu Fehlstellungen kommen kann. Zum einen liegt es an der Struktur und zum anderen an der Zusammensetzung des Futters.
- Fütterungsbedingter fehlender Zahnabrieb (lack of chewig theory)
Strukturiertes Futter ist sehr wichtig! Nur so können die Kaubewegungen vollständig und lange genug durchgeführt werden, um das richtige Maß an Abrieb zu gewährleisten.
Das optimale Futter setzt sich somit aus viel Heu und frischem Grünfutter zusammen. Dahingegen sollten Pellets oder Körner nur selten bis gar nicht angeboten werden. Diese sind in ihrer Konsistenz nicht zum zermahlen geeignet, sondern werden zum größten Teil nur zerquetscht. Außerdem sind sie meist sehr kalorienreich! - Metabolische Erkrankung aufgrund Mangelernährung (selectiv feeding theory)
Durch das Füttern von nicht adäquatem Futter kommt es mitunter zum Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen. Vor allem Calcium, Phosphor und Vitamin D spielen eine große Rolle im Zahnstoffwechsel. Calcium wird hauptsächlich über die Nahrung aufgenommen und ist ein wichtiger Stoff in der Kaskade für die Knochen- und Zahnbildung.
Die Aufrechterhaltung einer gewissen Konzentration von Calcium und Phosphor im Blut wird durch Vitamin D und dem Parathormon aus der Nebenschilddrüse geregelt. Besteht ein Mangel an einem dieser Stoffe, wirkt der Körper mit geeigneten Maßnahmen dagegen. Das notwendige Calcium wird dann aus den Knochen mobilisiert und führt in fortgeschrittenem Stadium unter anderem zu Knochenschwund (Osteopenie) und Knochenerweichung (Osteomalazie)- unter anderem auch im Kieferknochen, und so zu massiven Zahnfehlstellungen.
Auf welche Symptome sollte geachtet werden?
Die Betrachtung der Backenzähne zu Hause ist beim Kaninchen schlicht weg nicht möglich, denn hierzu werden geeignete Instrumente benötigt. Somit werden Zahnerkrankungen oft erst sehr (zu) spät entdeckt.
Dennoch gibt es ein paar Symptome, auf die der Besitzer achten kann:
- Gewichtsverlust und Fressunlust
durch Zahnspitzen oder bereits eingewachsenen Zähne wollen oder können Kaninchen ihr Futter nicht mehr aufnehmen und verlieren so stetig an Gewicht.
Eine regelmäßige Gewichtskontrolle kann bereits helfen, kleinere Schwankungen zu erkennen. - Maulgeruch und Nasenausfluss
Entzündungen, Bakterienüberwucherung und Futteransammlungen in der Maulhöhle führen zu Maulgeruch. - Augenerkrankungen
Durch die Wurzeln der ersten Backenzähne kann es zur Verlegung der Tränen-Nasen-Kanäle kommen. Die Tränenflüssigkeit kann nicht mehr durch die Nase abfließen – es kommt zum Rückstau und zur Entzündung. In weiterer Folge zeigen die Kaninchen eitrig verklebe Augen (Dakryozystitis).
Entzünden sich die Zahnwurzeln des Oberkiefers und bilden sich bereits Abszesse, kann es auch vorkommen, dass das Auge aus seiner Höhle gedrückt wird und in manchen Fällen so schwer geschädigt wird, dass nur mehr eine Entfernung möglich ist.
Auftreibungen und Schwellungen am Kiefer
Diese fallen vor allem am Unterkiefer auf. Durch den ständigen Druck der Zähne, werden diese in den Knochen gedrückt. Mit der Zeit kommt es zu einem Durchbruch des Kieferknochens und zur Entzündung mit Abszessbildung. Dies ist ein sehr schmerzhafter Prozess, da viele Nerven im Unterkieferknochen direkt unter den Zahnwurzeln ziehen.
Wie kann behandelt werden?
Um ein genaues Bild über den Schweregrad der Fehlstellung zu bekommen, ist eine umfangreiche Röntgenuntersuchung des Kopfes und eine Untersuchung der Maulhöhle in Narkose erforderlich. Nur so kann gezielt festgestellt werden, wie weit die Zahnwurzeln bereits in den Knochen oder in die Augenhöhle reichen.
Ist dies erfolgt und eine Diagnose steht fest, müssen die Zähne adäquat versorgt werden.
Dies kann eine Kürzung der Spitzen oder eine Extraktion der Zähne sein.
Bei sehr fortgeschrittenem Stadium ist eine Therapie manchmal nicht mehr möglich. Um dem Kaninchen die damit einhergehenden und zukünftigen Schmerzen zu ersparen, ist die einzige mögliche Therapie leider eine Euthanasie.
Damit dies nicht geschieht, sind regelmäßige Kontrollen alle 6 Monate wichtig. Nur so kann die Erkrankung frühzeitig erkannt und behandelt werden.